Der Wassermelonen-Effekt und wie Sie ihn verhindern

Mit Vollgas bei Grün ins Desaster

Für einen Großkunden, der eine systemrelevante Verwaltung betreibt, sollte im Rahmen eines Managed-Service-Projekts das Dokumentenmanagement aufgebaut und anschließend betrieben werden. Dafür hatten die Auftragnehmer in einem Joint-Venture eine eigene Projektgesellschaft mit rund 100 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen gegründet. Die Projektgesellschaft war in mehrere Abteilungen strukturiert, die jeweils eine Komponente des Dokumentenmanagement-Systems liefern sollte. Dieses umfasst sowohl Hardware (z.B. Massenscanner) als auch Datenbanken und Sicherungssysteme.

Einer der Abteilungsleiter war ein Haudegen der alten Schule, für den Personalführung darin bestand, Befehle zu erteilen. Zum Kunden vermittelte er immer einen grünen Projektstatus: Wir haben nicht nur alles im Griff, es läuft sogar bestens!

Nach innen jedoch setzte er seine Projekt- und Teilprojektleiter massiv unter Druck und machte sie zur „Schnecke“, wenn sie es wagten, in einem Teilprojekt ein rotes Signal zu setzen oder einen Terminverzug zu melden.

Dies ging – von der desolaten Moral im Projektteam abgesehen – so lange gut, bis ein mit einer Vertragsstrafe bewehrter Meilenstein gerissen wurde. Für die bisher errichtete IT-Infrastruktur konnte die Deadline zur Lieferung eines Service Level Reports gemäß ITIL nicht eingehalten werden. Die dazu notwendigen Prozesse und IT-Systeme waren schlicht nicht vorhanden.

Die Auswirkungen waren immens: Der Kunde fühlte sich betrogen und für die Gesellschafter der Projektgesellschaft entstand ein Schaden in Millionenhöhe. Natürlich eskalierte diese Situation bis in die höchsten Etagen. Das Projekt wurde zur Chefsache. Schließlich waren das Renommee und vor allem weitere Aufträge der Shareholder gefährdet.

An dieser Stelle kamen wir als externe Troubleshooter ins Spiel. Mit einer Taskforce von sechs Personen übernahmen wir das Turnaround Management. Als erstes starteten wir mit der Bestandserhebung und der Ursachenklärung.

Wie konnte es soweit kommen?

Der unglücklich agierende Abteilungsleiter war nur der offensichtliche Verursacher. Natürlich hatte sein Verhalten die Situation auf die Spitze getrieben und jeglichen Lösungsansatz des Projektteams verhindert. Seine Entlassung war zwar logisch, löste aber nicht das Problem. Die eigentlichen Ursachen lagen natürlich tiefer und konnten durch das vorsätzliche Ignorieren und Verschweigen von Problemen nicht rechtzeitig erkannt werden.

Bei einem Projektaudit wurden uns schnell wesentliche Versäumnisse klar:

  • Für den Aufbau des Dokumentenmanagement-Systems waren keine Ressourcen eingeplant, sondern nur für den bereits laufenden Betrieb. Diese sollten gewissermaßen nebenbei auch noch den weiteren Aufbau erledigen.
  • Es gab weder eine dokumentierte und abgestimmte Projektstruktur noch ein effizientes Controlling.

Mit Transparenz und konsequentem Projektmanagement zurück in die Spur

Genau an diesem Punkt setzten wir mit dem Krisenmanagement an. Wir strukturierten das Ziel „fertiger Betrieb“ in knapp 100 Einzelziele, sodass wir einen realistischen Zeit- und Kostenplan entwickeln konnten. Durchführungsplanung und Controlling erfolgten dann äußerst pragmatisch: Wir vereinbarten mit den einzelnen Abteilungen, welche dieser Teilziele sie im nächsten Monat erreichen wollten. Es gab dabei weder Gantt-Pläne noch Aufwandsschätzungen, sondern nur die Commitments der Teams. Das Controlling erfolgte nach der 0%-100%-Methode: Ein Teilziel war entweder erreicht oder nicht erreicht.

Auf dieser Basis gewährleisteten wir vollständige Transparenz für alle Stakeholder: Alle wussten, welche Ergebnisse geplant, in Bearbeitung und bereits erreicht waren. Nach zwei Monaten konnten wir bereits eine realistische Schätzung für den endgültigen Liefertermin abgeben.

So gewannen wir das Vertrauen des Topmanagements zurück und erhielten die notwendige Unterstützung, um das Projekt doch noch erfolgreich abzuschließen. Es war zwar gegenüber dem ursprünglich vereinbarten Termin um ein Dreivierteljahr verzögert, aber wir konnten diesen Termin bereits frühzeitig benennen und dann auch halten.

 

Wassermelonen-Prinzip und Wassermelonen-Effekt

Dieses Beispiel veranschaulichte das Wassermelonen-Prinzip: Dem Auftraggeber wird vorgegaukelt, dass alles plangemäß läuft und das Projekt pünktlich liefern wird. Das Projektteam wird hingegen mit allen Mitteln unter Druck gesetzt. Überstunden und Wochenendarbeit werden als Selbstverständlichkeit angesehen – und oft genug nicht einmal vergütet.

Während das Vorgehen nach dem Wassermelonen-Prinzip fast schon als bösartig bezeichnet werden kann, gibt es auch den Wassermelonen-Effekt, für den alle Projektleiter*innen anfällig sind. Dieser beruht auf dem Optimismus des „Wir holen das schon noch auf!“

Vor allem junge, engagierte und ehrgeizige Führungskräfte fallen auf diesen Effekt leicht herein. Sie überschätzen ihre Leistungsfähigkeit und laden sich zu viel an Aufgaben auf. Wenn sie merken, dass sie in Verzug kommen, wollen sie gegenüber ihren Vorgesetzten oder Auftraggebern nicht das Gesicht verlieren. Zugleich sind sie immer noch der Überzeugung, dass sie durch Mehrarbeit das Versäumte aufholen können. Und schon ist die Wassermelone perfekt!

 

So verhindern Sie die Wassermelone!

Es genügen wenige und sehr einfache Maßnahmen, um den Wassermelonen-Effekt zu verhindern. Das Wichtigste jedoch ist Ihre persönliche Einstellung zur Projektarbeit und zur Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber. Aber der Reihe nach:

Klären Sie den Auftrag vollständig

Hauptgrund für das Scheitern von Projekten ist der unzureichend geklärte Auftrag. Das Erstellen einer Projektstruktur, die Aufwandsschätzung und die klare Benennung der erforderlichen Ressourcen helfen ihnen dabei.

Erstellen Sie eine vollständige Projektstruktur

Nur wenn Sie eine große Aufgabe gliedern, können Sie ihre Bearbeitung planen und dann auch überwachen. Stimmen Sie die von Ihnen erstellte Projektstruktur detailliert mit Ihrem Auftraggeber ab.

Schätzen Sie Termine und Aufwände realistisch ab

Anhand der Projektstruktur können Sie zusammen mit den Fachleuten eine realistische Abschätzung über den Aufwand und die Meilensteine des Projekts erstellen. Seien Sie sich bewusst, dass dies eine Schätzung mit Unsicherheiten ist.

Benennen Sie klar, was Sie benötigen, um den Termin zu halten

Stellen Sie die zur Durchführung des Projekts benötigten Ressourcen zusammen. Präsentieren Sie Ihre Planungen dem Auftraggeber. Begründen Sie, warum Sie welche Ressourcen benötigen. Ggf. können Sie bereits Hinweise auf Gestaltungsmöglichkeiten bei Leistungsumfang und Ressourceneinsatz geben, z.B. eine Aufteilung des Projekts in mehrere Phasen.

Lehnen Sie „politische“ Vorgaben ab

Sagen Sie niemals eine Deadline zu, die Sie nicht selbst als realistisch machbar überprüft haben. Wenn Sie vom Auftraggeber nicht die erforderlichen Ressourcen erhalten, dann verhandeln Sie über eine Reduktion des Leistungsumfangs. Wenn Sie keine Einigung erzielen, lehnen Sie das Projekt ab. Es trotzdem in der Hoffnung durchzuführen, dass es schon irgendwie klappt, könnte Ihren Ruin bedeuten.

Führen Sie ein objektives Controlling ein

Zur Überwachung und Steuerung von Projekten gibt es zahlreiche Methoden. Eine davon, die 0%-100%-Methode haben wir bereits im Beispiel vorgestellt. Für welche Methode Sie sich auch immer entscheiden: Stellen Sie sicher, dass sie nicht geschönt werden kann, z.B. indem Arbeitsaufwand als Ergebnis ausgegeben wird.

Kommunizieren Sie den Projektstatus offen und ehrlich

Vertrauen und Zuverlässigkeit ist für die meisten Auftraggeber ein höheres Gut als Pünktlichkeit. Negative Überraschungen sind für sie schlimmer als die frühzeitige Eskalation eines Problems. Mit einer guten Projektstruktur und einem soliden Controlling erkennen Sie kommende Schieflagen frühzeitig.

Haben Sie Mut, unangenehme Wahrheiten auszusprechen

Wenn etwas schief läuft, gibt es nur eine einzige Lösung: Rechtzeitig offen kommunizieren. Zwei Dinge müssen Sie dabei aber zur Verfügung haben:

  1. Sie müssen den aktuellen Projektstatus sicher kennen. Dafür haben Sie das Controlling aufgesetzt.
  2. Sie brauchen einen Vorschlag, wie sich die Situation und die Prognose verbessern lässt.

Sie dürfen nicht erwarten, dass der Auftraggeber von Ihrer Botschaft begeistert ist. Aber nach unserer Erfahrung wird er Sie im eigenen Interesse bei der Problemlösung unterstützen.

Für Profis: Vereinbaren Sie einen agilen Festpreis

Wenn Sie diese Maßnahmen umgesetzt haben, sind alle Voraussetzungen für das stärkste Instrumentarium gegen den Wassermelonen-Effekt erfüllt: Sie können mit Ihren Lieferanten ein Vorgehen nach dem agilen Festpreis vereinbaren. Wie dies genau geht, lesen Sie in der Methodenbeschreibung „Agiler Festpreis für Projekte“.

 

Wir helfen Ihnen mit konsequentem Projektmanagement!

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Dr. Frank-Dieter Berg

Dr. Frank-Dieter Berg

Geschäftsführender Gesellschafter

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